Unterhaltung und Kunst

Wie spiele ich eine traurige Szene?

11.12.2020
Wie spiele ich eine traurige Szene?

Man sagt ja gemeinhin, die Komödie sei die Königsklasse in der Schauspielerei. Dem würde Heiner Lauterbach auch nicht grundsätzlich widersprechen. Meist ist es schwieriger die Menschen zum Lachen zu bringen, als zum Weinen. Trotzdem wollen diese traurigen Szenen auch gut gespielt sein und bieten mindestens eben soviel Potenzial für Blamagen, wie die Lustigen.  Müssen Schauspieler auf Knopfdruck weinen können? Wie stellen sich Schauspieler auf eine traurige Szene ein? Heiner Lauterbach verrät dir exklusiv in diesem Artikel seine Techniken.

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Wie erkennt man fake Weinen?

Das Pendant des auf der Bananenschale ausrutschenden Schauspielers ist der im Drama falsch weinende. Man erkennt das ganz gut an verschiedenen Dingen. In erster Linie behaupte ich, dass der Zuschauer es spürt, wenn auf der Leinwand etwas lediglich behauptet wird und wenn das Gefühl nicht echt ist.

Man sieht es meistens an den Augen. Zunächst mal am Blick und außerdem an den Tränen. Bei vorgespielter Trauer fließen entweder gar keine Tränen, oder künstliche. Beides ist schlecht. Menschen, die ohne Tränen weinen mag es vielleicht geben, aber sie sind verdammt selten. Mir sind sie jedenfalls noch nicht untergekommen.

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Und künstliche Tränen, die meistens vom Maskenbildner/der Maskenbildnerin mit Glyzerin aufgetragen werden, sehen auch künstlich aus. Sie glänzen mehr und kleben statisch im Gesicht anstatt sich ihren Weg über die Wangen zu bahnen.

Solche Gefühle vortäuschenden Szenen sind auch immer mehrfach unterschnitten, um den Vorgang des Tränen Aufmalens zu verschleiern. Gute, stark gespielte tragische Momente, in denen sich ein Weinen organisch entwickelt, bleiben bei guten Regisseuren und Cuttern ungeschnitten. Allein um den Zuschauer an diesem Vorgang in Ruhe teilnehmen zu lassen. Wenn ich vor der Wahl stehe – weint meine Figur oder nicht in der nächsten Szene und ich bin mir nicht sicher, entscheide ich mich im Zweifel für das nicht Weinen. Manchmal lehne ich es auch regelrecht ab, selbst wenn der Regisseur es lieber hätte. Das Publikum sollte weinen und nicht unbedingt der Darsteller.

Meine Technik: Wie spiele ich weinen?

Ich habe beruflich wirklich schon viel geweint. Auf der Bühne und vor der Kamera. Tausende Male möchte ich sagen. Es ist auch überhaupt nicht schwer. Im Gegenteil. Es ist eigentlich recht einfach. Zunächst einmal gilt es hier noch mehr als sonst in der Schauspielerei ganz bei sich zu bleiben. Denke an nichts, absolut nichts anderes als an dich und deine Situation. Hör, auch beim zehnten Mal, noch genau hin, was dein Gegenüber sagt, oder beobachte immer wieder wie das erste Mal, was vor sich geht. Und dann reagiere darauf. Wie im Leben. Lass einfach alles geschehen. Und dann  – wenn die Szene richtig geschrieben ist – fängst du an zu weinen. 

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Oder – und jetzt kommt der eigentliche Trick – du fängst nicht an zu weinen, empfindest aber alles weiter. Deine Trauer, deine Entrüstung, deine Wut oder was immer dich fast zum Weinen gebracht hätte. Dann hat es eben heute nicht sollen sein. Auch im normalen Leben reagieren wir Menschen unterschiedlich. An einem Tag würden wir weinen und am anderen Tag bei genau den gleichen Vorkommnissen eben nicht. 

Solange du dich und deine Performance dadurch nicht stressen lassen, ist alles gut. Es klingt vielleicht paradox, aber das Geheimnis beim Weinen ist, dass wir es nicht erzwingen sollten.

Wie stelle ich mich auf eine traurige Szene ein?

Im Prinzip behandele ich das Weinen beruflich genau so wie das Lachen. Ich lasse es geschehen. Das Stück, oder das Drehbuch müssen diese Momente hergeben. Wenn mich ein Regisseur vor einer Szene fragt wie ich sie „anlegen“ möchte, ob ich vorhabe zu weinen oder einen Lachkrampf zu kriegen, sage ich oft: „Ich weiß es noch nicht. Lassen wir uns überraschen.“ 

Ich meine das durchaus ernst. Ich lerne meinen Text nie mit der ganzen Emotion. Ich spiele das nie für mich zu Hause oder wo auch immer, eins zu eins, so wie ich es gedenke dann auch im Film oder auf der Bühne zu machen. Ich lasse mich immer überraschen bis zur ersten ernsthaften Probe. Und in dieser bin ich dann auch nicht selten überrascht in welche, vorher nicht zu erwartende Richtung diese Szene auf einmal Fahrt aufnimmt. 

Manchmal bin ich wirklich unvorbereitet auf meine eigene Reaktion. Überrascht von meiner Betroffenheit, Wut, Trauer oder was auch immer. Deswegen weiß ich vorher auch nie, ob ich weinen werde. Oder lachen. Ich weiß nur – gebt mir einen Grund für beides und ich mache es. Ansonsten nicht.

Ich würde aber nie mit falschen Tränen, also mit Glyzerin arbeiten. Und ich würde auch nie künstlich weinen, also ohne Tränen. Das ist auch nicht schwer. Jeder noch so unbegabte Schauspieler kriegt das einigermaßen hin. Ich würde nur dringend davon abraten. Vertraut eurer eigenen Interpretation der Szene. Nirgendwo steht geschrieben, dass ein Mensch, der gerade erfahren hat, dass sein Partner tödlich verunglückt ist, anfangen muss zu weinen. Das Schöne ist – fast jede Interpretation ist denkbar, wenn ihr sie glaubhaft und selbstbewusst darbietet.

Stellt euch folgende Situation vor…

Es klingelt an der Haustüre. Eine Frau öffnet. Der Polizist, der geklingelt hat, informiert die Frau darüber, dass ihr Kind tödlich verunglückt ist. Die Frau bricht zusammen.

Eigentlich ein klarer Fall. Die Interpretation bietet nicht allzu viel Spielraum. Gut, der Polizist wird einigermaßen vorhersehbar agieren. Wenn er nicht gerade ein Idiot oder besoffen ist, wird er der Frau nicht gerade grinsend auf die Schulter klopfen und „ihre Kleine hat den Löffel abgegeben“ sagen. Die Darstellung der Frau bietet aber einiges an Spielraum. Weil sie dermaßen emotionalisiert und damit unberechenbar ist. Sie könnte zum Beispiel nach einer Weile in der sie nichts gesagt, den Polizisten nur ausdruckslos angestarrt hat, sagen: „Ich muss die Wäsche noch aus dem Trockner holen.“ Und den Polizisten einfach stehen lassen.

Ein Vorschlag, dessen Umsetzung ich mir als Regisseur in jedem Fall ansehen würde. Weil er unerwartet ist. Überrascht. Neugierig macht und weil er nicht langweilig ist. Natürlich muss man in solchen Momenten aufpassen, dass man nicht den Fokus verliert. Dass man nicht Effekthascherisch wird. Manieriert. Albern. Zugegeben – solche Inszenierungen sind oft eine Gratwanderung. Ein Blade Running. Man sitzt auf dieser messerscharfen Rasierklinge und macht diesen Ritt. Rechts und Links der Abgrund. Rechts der Dilettantismus und links das artifiziell überzogene Eruieren. Beides grausam. Aber in der Mitte auf diesem ganz schmalen Grat – da findet sich oft die Genialität.

Wie weinen Schauspieler in einem Film?

Es gibt unter Schauspielern noch zwei weitere, leider sehr verbreitete Methoden die Tränen fließen zu lassen.

Man lässt sich unmittelbar vor der Einstellung Menthol in die Augen blasen, die dann anfangen zu tränen und sich zu röten. Das funktioniert naturgemäß nur vor der Kamera. Das war für mich nie eine Option. Der an mir bis zur letzten Sekunde herumfummelnde Maskenbildner hätte nur meine Konzentration gestört und wäre der Performance und der Glaubhaftigkeit meiner Darstellung eher abträglich gewesen.

Andere Schauspieler stellen sich einfach schlimme Ereignisse innerhalb ihres Familien- oder Freundeskreises vor. Ebenfalls keine Option für mich. Und das gleich aus zwei Gründen. Ich möchte mir so etwas nicht vorstellen müssen. Ich käme mir auch demjenigen gegenüber, den ich vor meinem geistigen Auge verunfallen lassen würde, schäbig vor. Also aus ethischen Gründen, wenn man so will.

Außerdem – ganz ehrlich, ein Schauspieler, der das nötig hat, macht da in meinen Augen irgendetwas falsch. Als würde ich als Chef einer Speditionsfirma einen LKW Fahrer einstellen, der mir unmittelbar vor Dienstantritt mitteilt, LKW habe er bis jetzt nur auf der Spielkonsole gefahren. Er hätte mir vorgegaukelt etwas zu können, was er eigentlich gar nicht kann.

Nein, ich finde, wir werden dafür bezahlt Emotionen zu transportieren. Dafür müssen wir sie durchleben. Lasst uns das trauen. Und vertrauen wir auf uns und unsere Fähigkeiten.

Euer Heiner Lauterbach

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